Irakkrieg : Vier Szenarien für den Irak nach Saddam Hussein ?
Die Studie eines österreichischen Nahostexperten analysiert das irakische Herrschaftssystem und versucht auch Prognosen zu stellen.(im Jänner 2003)
Was für Reaktionen sind in den Staaten der Region zu erwarten, wenn die USA militärisch gegen den Irak losschlagen? Gibt es wirklich handfeste Beweise dafür, daß Saddam Husseins Regime und das Terror-Netzwerk al-Qaida von Osama bin Laden kooperieren? Und was für Szenarien sind für einen Irak ohne Saddam Hussein denkbar? Das sind drei Kardinalfragen in Zusammenhang mit der jetzigen Irak-Krise, die eine brandaktuelle Studie der Wiener Landesverteidigungsakademie zu beantworten versucht.
Die Studie mit dem Titel "Irak unter Saddam Hussein. Das Ende einer Ära?" ist im Dezember in der Schriftenreihe der LVAK erschienen. Verfasser ist Walter Posch, ein auf Nahostfragen spezialisierter Mitarbeiter des Institutes für Friedenssicherung und Konfliktmanagement. Posch beschreibt ausführlich die ethnische Zusammensetzung des Landes, die auf der Baath-Partei, Stammes- und Familienbanden sowie diversen Sicherheitsapparaten beruhende Machtbasis Saddam Husseins sowie die stark zersplitterte Opposition. Saddams größte politische Trumpfkarte sei seine Fähigkeit, seine inneren Feinde mit einer "Mixtur aus Terror und Verführung" im richtigen Moment von einer Zusammenarbeit zu überzeugen. Er habe dabei nie einen Hehl aus seiner Bewunderung für den sowjetischen Diktator Josef Stalin gemacht.
Wie beantwortet Posch nun die eingangs aufgeworfenen Fragen?
Für ihn ist klar, daß ein US-Krieg gegen den Irak den ohnehin weitverbreiteten Antiamerikanismus in der Region noch verstärken würde. Doch bezweifelt Posch, ob die nach einem Angriff zu erwartende Protestwelle etwa die Monarchien in Saudiarabien und Jordanien aus den Angeln heben könnte. Syrien und der Iran würden versuchen, sich aus dem Konflikt herauszuhalten.
Was die Zusammenarbeit zwischen Irak und al-Qaida betrifft, fand Posch in den von ihm ausgewerteten Quellen keinen eindeutigen Beweis dafür, daß Bagdad das Terror-Netzwerk unterstützt. Aber: "Mit hoher Wahrscheinlichkeit nutzen Saddam Hussein und al-Qaida ihre Ressourcen gegenseitig. Doch auf welcher Ebene und in welchem Ausmaß dies geschieht, kann anhand von ein paar abenteuerlichen Schmuggler- und Terroristengeschichten kaum ernsthaft beurteilt werden."
Schließlich Poschs Szenarien für einen Irak ohne Saddam:
[1] Eine zwar demokratisch legitimierte, aber schwache prowestliche Regierung hält er für eine "denkbar schlechte Variante". Denn eine solche wäre von den USA abhängig und kaum in der Lage, die Interessen des Landes erfolgreich zu vertreten; zudem würde sie - wie in Afghanistan - das Auftauchen lokaler Potentaten beziehungsweise Warlords erleichtern.
[2] Unruhen, Verteilungskämpfe oder einen offenen Bürgerkrieg in der Post-Saddam-Ära hält Posch für sehr wahrscheinlich. Eine Dreiteilung des jetzigen Irak in Kurdistan, Groß-Bagdad und Südirak wiederum werde mit Sicherheit nur weitere Konflikte zur Folge haben.
[3] Durchaus denkbar sei auch ein neues, starkes Regime, gleichsam ein "Saddamismus ohne Saddam": "Ein starker Mann hätte den Vorteil, die vorhandenen militärischen und polizeilichen Strukturen ohne große Probleme in eine künftige demokratische Ordnung zu überführen und er könnte die Einheit des Irak sicherstellen." Zudem könnte er die zu erwartende Abrechnung, auf die unzählige Leidtragende des Saddam-Regimes warten, verhindern.
[4] Negativ bewertet Posch eine US-Militärverwaltung: "Alle, wirklich alle Gesellschaftsgruppen würden sich gegen die USA vereinen, nur eine kleine Gruppe pro-westlicher Geschäftsleute würde dies begrüßen."
Die Presse vom 8. 1. 2003