Irakkrieg : Die Politiker Bush und Blair müssen wenigstens nachträglich die Kriegsgründe beweisen

Kommentar des us-amerikanischen Wirtschaftswissenschafters und Prof. an der Columbia University Jeffrey Sachs (in Die Presse vom 28.3.2003, nach einer Woche Irakkrieg)

 

Die schwerwiegendsten Folgen des Irak-Krieges werden nicht auf den Schlachtfeldern zu sehen sein. Sie werden erst später zu Tage treten, in welchem Ausmaß, wird davon abhängen, ob es George Bush und Tony Blair gelingt, ihren Angriff auf ein weitgehend wehrloses Volk zu rechtfertigen. Die beiden haben diesen Krieg aus Gründen begonnen, über die auf der ganzen Welt hitzig debattiert wurde. Sind diese gerechtfertigt, könnte der Krieg möglicherweise zu mehr Sicherheit auf der Welt führen. Wenn sich ihre Argumente als haltlos erweisen oder widerlegt werden, dann wird dieser Krieg zu Instabilität führen. In diesem Fall wäre der rasche Rücktritt der beiden die wichtigste Konsequenz.

 

Als Rechtfertigung für diesen Krieg konnte die Tatsache, dass Saddam Hussein ein Tyrann ist, nicht dienen. Wenn es überhaupt eine Rechtfertigung gibt, dann ist es die Gefahr, die Saddams Regime für die Welt darstellt. Vier Argumente brachten Bush und Blair für diesen Krieg vor:

 

[1.] Der Irak ist im Besitz von Massenvernichtungswaffen.

 

[2.] Diese Waffen stellen eine ernsthafte und unmittelbare Bedrohung dar.

 

[3.] Die UN-Inspektionen konnten diese Bedrohung nicht ausschalten.

[4.] Der Bedrohung ist am Besten durch einen Krieg zu begegnen.

Das erste Argument wird wohl am einfachsten nachzuprüfen sein. Bush und Blair sprachen wiederholt von einem ganzen Arsenal an Massenvernichtungswaffen, von riesigen unterirdischen und mobilen Anlagen für die Produktion und den Abschuss solcher Waffen und von aktiven Programmen zur Entwicklung von Atomwaffen. Jetzt liegt es an Bush und Blair, dafür den Nachweis zu erbringen - auch angesichts des weltweiten Verdachts, dass die Geheimdienste der USA und Großbritanniens getürkte Beweise vorbringen. Daher sollten diese Beweise von unabhängigen Experten der UNO überprüft werden. Sollte es für Massenvernichtungswaffen in großem Stil keine Beweise geben, dann hätten es Bush und Blair verdient, politisch erledigt zu sein, und zwar unabhängig davon, was sonst noch im Irak geschieht.

 

Mit dem Beweis für den zweiten Kriegsgrund wird es schon schwieriger. Bush und Blair müssen zeigen, dass eventuell gefundene Massenvernichtungswaffen eine ernsthafte und unmittelbare Bedrohung darstellten.


 

Wir wissen, dass der Irak irgendwann über chemische und biologische Waffen verfügte, weil die USA sie dem Irak verkauften. Die Frage ist nicht, ob es noch Spuren dieser Waffen gibt, denn diese können sich auch in Entsorgungsanlagen finden. Zu beweisen gilt es, ob diese Waffen tatsächlich für den Ernstfall in bedrohlichem Ausmaß bereit gehalten wurden.


 

Wenn die Iraker mit diesen Waffen angreifen, wäre das ein Beweis, dass diese Waffen einsatzbereit waren. Ob sie allerdings eine reale Gefahr auch außerhalb des Irak darstellten oder auch eingesetzt worden wären, hätte dieser Krieg nicht stattgefunden, müsste erst noch überprüft werden.

 

Das dritte Argument für den Krieg ist höchst umstritten. Bush und Blair sollten nachweisen, dass die UN-Waffeninspektionen gescheitert sind. Dazu muss bewiesen werden, dass die Iraker tatsächlich Waffen an den von den Inspektoren durchsuchten und für waffenfrei erklärten Orten versteckt haben.

 


Es sollte eine systematische Überprüfung aller inspizierten Stätten erfolgen. Wenn Massenvernichtungswaffen anderswo entdeckt werden, muss es darüber hinaus eine Erklärung geben, warum die Inspektoren diese nicht innerhalb einer realistischen Zeitspanne hätten finden können.

 

Der vierte Kriegsgrund wird wohl mit wilder Propaganda auf beiden Seiten einhergehen. War der Krieg im Hinblick auf seine Kosten und Nutzen gerechtfertigt, war er wirklich der letzte Ausweg? Um dies zu verifizieren, wird es einer objektiven Aufstellung der Kriegskosten bedürfen, in der Opferzahlen, die Zerstörung von Sachgütern, die wirtschaftlichen Folgen für den Irak, die Auswirkungen auf andere Formen der Gewalt wie den Terrorismus und die geopolitischen Folgen berücksichtigt werden.

 

Mit Ausnahme ihrer eigenen Länder konnten Bush und Blair die Welt bis dato nicht von ihrer Sache überzeugen. Den Amerikanern wurde ein Spektakel aus Hurrapatriotismus, Angstmacherei, Verwechslung des Irak mit den Terroristen Osama bin Ladens serviert. Nichts davon konnte den Rest der Welt überzeugen. Dort wird der Krieg mit einer Mischung aus Verachtung und Besorgnis verfolgt. Sollten sich Beweise für die vier Kriegsgründe finden, könnte sich das ändern.

 

Als die 13 britischen Kolonien in Nordamerika ihren Unabhängigkeitskrieg gegen das Mutterland begannen, lieferte Thomas Jefferson aus "geziemender Rücksicht auf die Meinung der Menschen" eine Erklärung für diesen Krieg, die dann in die Unabhängigkeitserklärung aufgenommen wurde. Heute ist eine solche Erklärung, verbunden mit einer gründlichen Beweisführung, nicht weniger notwendig. - Wenn sich die Argumente für diesen Krieg als haltlos erweisen, wird dies tiefgreifende Folgen haben. Nicht einmal Propaganda, jubelnde Iraker in den Straßen und das Staunen über die intelligenten Bomben der Amerikaner würden von einer schrecklichen Wahrheit ablenken können - dass nämlich Bush und Blair den Weltfrieden gebrochen und vorsätzliches Töten angeordnet haben und das noch dazu gegen die überwältigende Mehrheit auf der Welt. Diese Wunden könnten nur heilen, wenn sowohl in den USA als auch in Großbritannien eine neue politische Führung an die Macht käme und die Autorität der UNO in vollem Umfang anerkannt wird.

 

Wenn es überzeugende Beweise gibt, dass Massenvernichtungswaffen bereit standen, dass man sie auch benutzen wollte, dass die Aussichten der Waffeninspektoren, diese zu finden und unschädlich zu machen denkbar gering waren, dann müssen wir die Argumente von Bush und Blair anerkennen. Aber selbst dann wäre möglicherweise eine Politik des Containment klüger gewesen, als ein Krieg. Immerhin hätte er wenigstens irgendeinen Sinn gehabt. Die Gräuel eines sinnlosen Kriegs sind tatsächlich zu schrecklich, um sie sich auszumalen.

in Die Presse vom 28.3.2003

 

 

 

Meta-Daten

Sprache
Deutsch
Anbieter
Education Group
Veröffentlicht am
28.03.2003
Link
https://gw.schule.at/portale/geographie-und-wirtschaftskunde/regionales/asien/irak/detail/irakkrieg-die-politiker-bush-und-blair-muessen-wenigstens-nachtraeglich-die-kriegsgruende-beweisen.html
Kostenpflichtig
nein