Der Irak Konflikt : Washington ist ohne jedes Verständnis ...

...für das Dilemma der arabischen Regierungen (ein Kommentar im Standard vom 1.4.2003)

Der österreichische Völkerrechtler Manfred Rotter schrieb am Wochenende im Standard-Album, dass der völkerrechtliche Unterschied zwischen einer legitimierten und einer nicht legitimierten militärischen Intervention darin liege, dass der angegriffene Staat bei Ersterer kein Recht auf Widerstand habe, bei Letzterer, einer nicht legitimierten militärischen Intervention, jedoch sehr wohl: "Selbst dem blutrünstigen Regime von Saddam Hussein erwachsen so alle Rechte auf Selbstverteidigung", mehr noch, "sogar die Unterstützung durch andere Staaten ist zulässig".

Nun drücken sich nicht nur österreichische Politiker und Beamte um das klare Urteil herum, ob der Irakkrieg völkerrechtswidrig sei oder nicht: Die Worte vom Generalsekretär des Außenministeriums, Johannes Kyrle (in "Offen gesagt" im Fernsehen am Sonntag), der Krieg sei "nicht legitimiert", sind da fast schon ein Offenbarungseid, wenn auch negativ formuliert.

Warum die lange Vorrede: Die USA haben Syrien und danach auch den Iran beschuldigt, den Irak militärisch zu unterstützen. Denkt man den Gedanken von oben weiter, so resultiert daraus, dass diejenigen, die sich der Ansicht der - vereinfacht gesagt - "amerikanischen" Völkerrechtler nicht anschließen, es für legitimiert halten können, dass andere Länder - wieso nicht Syrien und der Iran? - dem Irak bei seiner Verteidigung helfen.

So sieht also die Welt Anfang des 21. Jahrhunderts aus. Das mit Gründung der UNO in ein neues Zeitalter gebrachte Völkerrecht fliegt uns in Fetzen um die Ohren, wir kehren zur tribalen Logik der befreundeten und verfeindeten Stämme zurück. Wir spielen wieder Indianer, allerdings nicht mit Pfeil und Bogen.

Bei den militärischen Schwierigkeiten, mit denen die USA und Großbritannien im Irak konfrontiert sind, ist die Nervosität nachzuvollziehen, die zu Drohungen gegen alle führt, die diese Schwierigkeiten vielleicht noch vergrößern - wenngleich Syrien, das sehr offen die politische arabische Front gegen den Irakkrieg anführt, jede Militärhilfe für den Irak heftig dementiert. Um das politische Porzellan, das durch solche Drohungen zerschlagen wird, kümmert sich aber in Washington niemand mehr; es gibt, wie schon gesagt, nur mehr ein Muster: Freund oder Feind.

Für manche mag das Weltbild damit wieder stimmen: Syrien kooperierte nach dem 11. September 2001 im Antiterrorkampf mit den USA, in dieser Frage ortet Präsident Bashar al-Assad auch im Standard-Interview völlige Übereinstimmung mit Washington. Trotzdem blieb es weiter auf der US-Liste derjenigen Staaten, die den Terrorismus unterstützen - was Damaskus ungerührt lässt: Die militanten palästinensischen Gruppen, die in Damaskus ihre - politischen, wie betont wird - Büros haben, seien keine Terror-, sondern Widerstandsgruppen gegen die israelische Besatzung.

Die Diskussion dieser Frage - besonders der libanesischen Hisbollah, die wegen eines Zipfels Land kämpft, der von Israel beim Abzug aus dem Libanon nicht geräumt wurde, weil er (auch laut UNO) zu Syrien gehört - gehört nicht hierher; der Konsens, dass jede Gewalt gegen Zivilisten Terrorismus ist, soll hier an keiner Stelle infrage gestellt werden.

Ganz allgemein kann man aber sagen, dass nicht nur Syrien, sondern durchaus auch Staaten, die von den USA nicht in "Schurken"-Nähe gerückt werden, in der US-Weigerung, den Terrorismusbegriff zu definieren, einen politischen Zweck sehen: Nur so können sich die USA alle Optionen im so genannten "Antiterrorkrieg" offen halten. Wobei wir wieder im Irak wären. Syria next, wie es der der US-Regierung inzwischen zu peinlich gewordene Richard Perle wiederholt ankündigte?

Die arabischen Regierungen haben im Moment zwei Möglichkeiten: sich zu ducken, stillschweigend zu kooperieren und sich dem Volkszorn auszusetzen - oder ihre eigene Stabilität zu bewahren, indem sie die öffentliche Meinung vertreten, womit sie sich aber den Zorn der USA zuziehen. Beides ist riskant.

Q.: DER STANDARD, Printausgabe, 1.1.2003

 

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Deutsch
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Veröffentlicht am
01.04.2003
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