GR 9 vom September 2008: Globalen Wertschöpfungsketten
Geographische Rundschau ist ein jedem Oberstufenlehrer, insbesondere für einen zeitgemäßen Wirtschaftsgeographieunterricht an den Berufsbildenden Schulen empfohlenes Themenheft. Es reiht sich ein in die regelmäßig jedes Jahr herauskommenden Themenhefte zu verschiedenen Aspekten der Globalisierun ...
Geographische Rundschau ist ein jedem Oberstufenlehrer, insbesondere für einen zeitgemäßen Wirtschaftsgeographieunterricht an den Berufsbildenden Schulen empfohlenes Themenheft. Es reiht sich ein in die regelmäßig jedes Jahr herauskommenden Themenhefte zu verschiedenen Aspekten der Globalisierung. Hier wurden nun acht sehr instruktive Artikel zu einer wirtschaftsgeographisch hoch interessanten Thematik, zu „Globalen Wertschöpfungsketten“ zusammengefasst...
GR 9 vom September 2008 ist ein jedem Oberstufenlehrer, insbesondere
für einen zeitgemäßen Wirtschaftsge-ographieunterricht an den Berufsbildenden
Schulen empfohlenes Themenheft. Es reiht sich ein in die re-gelmäßig jedes Jahr
herauskommenden Themenhefte zu verschiedenen Aspekten der Globalisierung (etwa
GR 5/2007, aber auch GS 174/2008, oder GR 7-8/2006, 2/2005): Hier wurden nun
acht sehr instruktive Artikel zu einer wirtschaftsgeographisch hoch interessanten
Thematik, zu „Globalen Wertschöpfungs-ketten“ zusammengefasst.
Der gleichnamige Einleitungsartikel zeigt Dimensionen des Umbaus von Nord-Süd-Beziehungen
in der Weltwirtschaft auf. Der seit den 90er Jahren gebräuchliche Begriff, hebt
die Rolle der Wertschöpfungsprozesse durch Akteure zum Zweck verbesserter Effizienz
hervor. Erstens greifen diese Wertschöpfungsprozesse geographisch weit aus und
verändern die internationale Arbeitstei-lung, zweitens verändern sie die Anteile
einzelner Wertschöpfungsarten an der Gesamtwertschöpfung ei-nes Produkts. Der
eigentliche Herstellungsteil nimmt dabei in der Regel einen immer geringeren
Anteil ein (wird in Niedriglohnländer verlagert, bzw. generiert man Produktivitätsgewinne
durch neue Techni-ken), während Logistik, Produktentwicklung (design) und Marketing
(brands) im Wertschöpfungsanteil steigen – Und dieser erfolgt/bleibt in der
Regel in den Ländern des Nordens. Marktmacht, Marktzugang und Marktkonzentration
spielen da eine wesentliche Rolle. Die Großkonzerne versuchen dabei über ihre
Steuerung (Governance) das „global sourcing“ von den Endprodukten her zu kontrollieren
und Risiken auf viele nachgelagerte Unternehmen in anderen Ländern zu verteilen.
Von besonderer Bedeutung ist auch die Verteilung von Wissen und Kompetenzen
auf neue Marktentscheidungen zu reagieren. Als klas-sische Formen macht die
Autorin marktgetriebene Wertschöpfungsketten aus – hier zählt nur der Preis.
Käufergetrieben Ketten gibt es hingegen in der Bekleidungsindustrie, Blumenproduktion
(etwa Blumen aus Kenia – wo große Produzenten wegen gleichbleibender Qualität
und Infrastrukturkosten bevorzugt werden - die Masse der Kleinbauern fällt durch
den Rost). In beiden Organisationsformen können die Käufer die Produzenten rasch
austauschen. In modularen Wertschöpfungsketten hingegen ist es bestimm-ten zuliefernden
Produzenten gelungen mehr technische und kaufmännische Kompetenzen zu erlangen.
Sie haben die Rolle eines Teilezulieferers aufgegeben und bieten ihrem Kunden
im Norden die vollständi-ge Herstellung des Produktes an. Sie könne es auch
teilweise weiterentwickeln (Beispiel Mobiltelephone und die Kontraktfertiger
wie Flextronics oder Solectron, während Motorola und Nokia diese dann vertrei-ben.
Es gibt aber auch relationale Wertschöpfungsketten. Darin verfügen die Produzenten
des Süden zwar über die vollständige Kompetenzen zu Herstellung und Vertrieb,
diese reichen aber nicht aus um die rei-chen Märkte des Nordens zu erschließen
– es herrscht ein Gleichgewicht, was auch den Aufbau eines wechselseitigen berufsbedingten
Vertrauens zu einem wichtigen Faktor werden lässt. Doch haben solche globale
Wertschöpfungsketten in der Regel keine stabilen geographische Ordnungen. Sie
stehen unter permanenten Wettbewerbsdruck. Politische Instabilitäten, steigende
Löhne oder auch erfolgreiche stattli-che Sozialpolitik können lead firms bewegen
die Ketten in neue, rentablere Produktionsregionen zu verla-gern. Manche Orte
und Verbindungen bleiben aber verstehen - alleine durch den Umfang der dort
getä-tigten Investitionen: etwa spezialisierte Containerhäfen mit ihren landseitigen
Anbindungssystemen, Flughäfen mit Kühlhallen, oder Finanzzentren. Im Süden wird
die ungleiche regionale Entwicklung in der Regel verstärkt. Durch Bildung von
Clustern. Denn räumliche Konzentration beschleunigt Lernprozesse, hilft leichter
Standards durchzusetzen, Kontrolle auszuüben und Transportkosten weiter zu senken.
Oft stehen aber in Regionen erfolgreichem Exportwachstums hohe soziale Kosten
gegenüber!
Im ersten Fallbeispiel geht es um „Indisches Leder für den Weltmarkt“.
Darin wird gezeigt, wie sich in einem alten Industrieraum bei Kanpur die Lederindustrie
etablierte. Umweltprobleme durch die Gerberein entstehen (www.ecofriends.org).
Kontrollen und Standards (so sie u.U. von einzelnen Firmen des Nor-dens auf
Druck von NGOs erfolgten) vor Ort erfolgreich unterlaufen werden, indem die
großen Lederun-ternehmen, besonders umweltbelastende Produktionsschritte in
viele kleine und kleinste (und damit in ei-ner auch korrupten Verwaltung unkontrollierbare)
Subunternehmen auslagern – etwa die Chromgerbung. Neben Markenabnehmern gibt
es aber noch die für Handelsketten produzierten kostengünstigen Produkte (dort
etwa Reitsportartikel), wo aufgrund der Anonymität Konsumentendruck zur Durchsetzung
von Standards praktisch Null ist.
Ein zweites Branchenbeispiel „Local customers – local buyers“ zeigt unterschiedliche
Trends und Strate-gien beim deutschen Schuhhandel. Dieser ist
maktmäßig dreigeteilt. Dem mittelständischen Fachhandel und selbstständigen
Einzelhändlern steht eine Marktkonzentration einiger Großfilialisten (etwa Deichman,
Reno) gegenüber. Diese pflegen eigene, auch selbst entworfene und in Auftrag
gegebene Handelsmarken. Ein Drittel des Schuhabsatzes aber geht über branchenfremde
Vertriebskanäle, wie Lebensmitteldiscoun-ter, Versandhandel, aber auch im höherpreislichem
Segment über das Markenimage von Bekleidungsfir-men (Boss, Zara, Esprit). Auch
shop in shop Strategien (etwa bei Peek und Cloppenburg) gibt es zuneh-mend.
Wobei die Handelsmarken zunehmend eigenes Profil bekommen und immer weniger
billige Ko-pien nur mehr sind. Unternehmensketten wie Deichmann kaufen auch
traditionelle Markennamen dafür auf.
Ein drittes Fallbeispiel zeigt Chancen eines „Globalen Produktionsnetzwerkes
in der Biobranche“ auf – Indischer Pfeffer für schwäbisches Biofleisch. Profitieren
konnte die indische Produktionsregion von ihrer traditionellen landwirtschaftlichen
Tradition – und wurde eingebunden gegen stärker werdende Konkur-renz aus Vietnam,
wo Pfeffer meist unter starkem Dünger und Pestizideinsatz angebaut wird. Der
Biopfef-fer aus Kumily wurde in einem Schutzgebiet aufgrund von Innovationen
in Tourismusunternehmen der Region in seiner Produktion angekurbelt – damit
sollte dort auch die Akzeptanz der Touristikinvestitionen steigen, andererseits
die Kultur der ansässigen indigenen Stämme gestützt werden. Er konnte über ein
zer-tifiziertes Netzwerk in Deutschland gerade die Ursprünglichkeit seiner Produktion
„Natural Harvest“ als Nischenprodukt ausspielen und damit auch eine soziokulturelle
Komponente erhalten.
„Service Offshoring: globale Arbeitsteilung und regionale Entwicklungschancen“
zeigt Trends in der Ar-beitsteilung der Dienstleistungen auf. Im Gegensatz zur
Auslagerung (Outsourcing) aus dem eigenen be-trieblichen Ablaufprozeß, ist Offshoring
die geographische Verlagerung außerhalb des Stammlandes des Unternehmens zur
Lukrierung der Lohnkostenvorteile. Solche Prozesse können sowohl intern als
auch im Outsourcing organisiert sein. Der Aufsatz bringt dazu mehrere Fallbeispiele
(Callcenter, Software Re-search, oder Auslagerung von wissensintensiven Spezialistentätigkeiten
– insbesondere nach Indien, fer-ner Montevideo (Sonderwirtschaftszone Zonamerica
mit Technologieparks) und Budapest mit Aufwer-tungsprozessen im IT-Nearshoring
von Technologieparks, das in Osteuropa ein Drittel der Offshore-Standortverlagerungen
anzog. Steigende Löhne ließen wiederum schon von dort auch Routine-IT-Tätigkeiten
weiter nach Serbien oder Rumänien auslagern.
Eine besondere Wertschöpfungskette ist der „Tourismus in Ketten“
– hier wird diese an der Organisation von Pauschalreisen aus Deutschland nach
Jordanien analysiert. Der Aufsatz erläutert auch Spezifika die-ser Branche:
1. das Produkt liegt beim Kauf lediglich in Form eines Leistungsversprechens
vor. 2. Das Reiseziel ist Bestandteil des touristischen Gesamtprodukts- der
Veranstalter kann das Ziel nicht einfach zugunsten eines anderen austauschen.
Die Reise wird an der Destination sowohl konsumiert als auch pro-duziert. Tourismusanbieter
sind daher bei der Verlagerung, etwa um von günstigeren Faktorausstattungen
zu profitieren, beschränkt. 3. das „uno-actu-Prinzip“ hat die direkte Einbindung
des Konsumenten zur Folge – Service und Aufmerksamkeit die dem Gast entgegengebracht
werden, haben erhebliche Auswir-kungen auf den Gesamteindruck. Zur „Rohstofforientierung“
des Tourismus gehören aber auch darüber hinaus staatliche und internationale
Rahmenbedingungen (Freizügigkeit, Umweltbedingungen etc.). Der Reiseveranstalter
verfügt zwar über das Tor zum globalen Markt, ist allerdings in Deutschland
einem starken Wettbewerb ausgesetzt. Es kommt zu einer Wechselwirkung zwischen
deutscher Agentur und lo-kalen Zielgebietsagenturen. Je nach Produktangebot
(Badestrand oder komplexer zu organisierende Rund-reisen) variieren die Anforderungen
und Einflussmöglichkeiten. Herausgestrichen werden die dabei nöti-gen Vertrauensverhältnisse
zwischen beiden Partnern der Wertschöpfungskette, die ein breites Spektrum von
Variationen von Steuerungsmustern zulässt, sich auch mit Entwicklung der bereisten
Regionen ver-ändern.
Der letzte Beitrag beleuchtet „Globale Wertschöpfungsketten und Stoffströme“.
Hier geht es um die Diskussion wie wirken Gesetze zur Produktverantwortung
in der Automobil- und in der PC-Industrie. Der Autoren arbeiten heraus, dass
es bei individualisierten Markenprodukten wie Autos (im Gegensatz zu aus globalen
anonymen Produzentenquellen zusammengesetzten Standardprodukten der IT-Branche)
leichter wäre über die Lead Firms Nachhaltigkeitsstandards bei der Verwertung
durchzusetzen. Auch wenn noch immer in Deutschland von etwa 4 Mio p.a. neu zugelassenen
bzw. 3,2 Mio gelöschten Fahr-zeugen nur 0,45 Mio einer Verwertung im Inland
zugeführt werden, hingegen 2,75 Mio über diffuse Ka-näle als Gebrauchtfahrzeugexporte
oft einer ungeregelten Entsorgung irgendwo in ärmeren Ländern ent-gegensehen
(vgl. GR 2/2005). Dennoch ist hier der Einfluss der kritischen Öffentlichkeit
(derzufolge dann auch der Staat sich zu gesetzlichen Regeln wie einer Altfahrzeugverordnung
aufrafft) nur wenig größer, als bei anonymen IKT-Schrott. Diesen kostengünstig
in Dritte Weltländer und China zu entsorgen, ist we-sentlich schwerer mit Standards
zu begegnen bzw diese auch zu kontrollieren. Skandalisierbare Aspekte liegen
oft am Anfang der Wertschöpfungskette und sind schwer auf das fertige komplexe
Industrieprodukt zu beziehen, zumal kaum Unterschiede in der Branche auszumachen
sind. In beiden Bereichen sind keine Anreize für nachhaltigkeitsorientierte
Innovationen zur Senkung des Stoffverbrauches feststellbar. „Beim Kauf des Flachbildschirms
spielt der Blick auf eine spätere umweltgerechtere Entsorgung kaum eine Rol-le“
– Abhilfe sehen sie etwa in einem Pfandsystem oder bessere Kontrolle, nämlich
wenn wirklich festge-stellt würde, ob es sich noch um ein Altauto oder schon
um Schrott handle.