Gebirge - zentrale Elemente im Wasserkreislauf
Aufsatz über die zentrale bedeutung der Gebirge als Wasserspeicher
20. März 2002, 02:10, Neue Zürcher Zeitung
Gebirge - zentrale Elemente im Wasserkreislauf
Ungenügende Datenlage erschwert quantitative Abschätzung
few. Gebirge spielen im globalen Wasserkreislauf eine wichtige Rolle, fallen doch in den Hochlagen deutlich mehr Niederschläge als im Tiefland. Wie wichtig Gebirge auch in regenreichen Regionen für die Wasserversorgung sind, spiegelt etwa darin, dass die Alpen als «Wasserschloss Europas» bezeichnet werden. Über die hydrologische Situation in Gebirgen liegen allerdings nur ungenaue Zahlen vor. Dies hängt unter anderem damit zusammen, dass Gebirge schwer zugänglich sind und daher nur wenige Messstationen aufweisen und dass das Klima - und damit auch die Niederschläge - in Gebirgen regional sehr stark variiert. Daniel Viviroli von der Gruppe für Hydrologie am Geographischen Institut der Universität Bern hat die vorhandenen Daten nun zusammengetragen und anhand von Fallbeispielen dargestellt, welche Bedeutung den Hochländern global gesehen zukommt.
Als Ausgangspunkt für seine Analyse wählte der Forscher den Rhein, über den vergleichsweise detaillierte Daten vorliegen. Grob gesagt kann der Rhein in drei Abschnitte unterteilt werden. Im Gebirgsteil wird der Abfluss des Rheins durch eine sommerliche Spitze geprägt. Diese rührt daher, dass ein grosser Teil der winterlichen Niederschläge in Form von Schnee gespeichert wird und erst im Verlaufe des Sommers an die tief liegenden Regionen abgegeben wird. Im zweiten Abschnitt zwischen Bodensee und Mainz ist das Abflussregime im Verlaufe des Jahres zwar ausgeglichener, doch auch in diesem Bereich führt der Rhein im Sommer mehr Wasser als im Winter. Unterhalb von Mainz ändert sich jedoch die Lage. Die Zuflüsse aus den tiefer liegenden Regionen prägen nun immer deutlicher das Abflussregime, und der Rhein führt in diesem Abschnitt im Winter mehr Wasser als im Sommer.
Wie wichtig die Alpen für die tiefer liegenden Gebiete entlang des Rheins sind, zeigt sich auch, wenn man sich die Auswirkungen der prognostizierten Klimaänderung vor Augen hält. Verschiedene Studien legen nahe, dass sich das Abflussregime des Rheins in den nächsten Jahrzehnten ungünstig verschieben wird: im Winter ist im Vorland von einer Zunahme der Abflussmenge von 10 bis 25 Prozent auszugehen, während die sommerlichen Abflüsse um 10 bis 15 Prozent abnehmen dürften. Dies hängt unter anderem damit zusammen, dass im Gebirge mit vermehrten winterlichen Niederschlägen sowie einem Anstieg der Schneegrenze - und damit einer geringeren Speicherung der Niederschläge - zu rechnen ist.
Für das Einzugsgebiet des Rheins sind jedoch nicht nur der verstärkte Zufluss aus den Alpen im Sommer von Bedeutung, sondern auch die Mengen, die im Verlaufe eines Jahres insgesamt aus dem Gebirge abfliessen. So verfügen die Niederlande heute pro Kopf und Jahr über eine erneuerbare Wassermenge von rund 6000 m[3], mehr als genug also, um den Bedarf zu decken. Knapp 90 Prozent des Wassers stammen allerdings von den Zuflüssen aus dem Ausland, während in Holland selbst nur 670 m[3] Niederschlag pro Person und Jahr fallen. Ohne Zuflüsse würde Holland also unter starkem Wassermangel leiden. Insgesamt steuert das Gebirge im Fall des Rheins knapp 50 Prozent zum gesamten Abfluss bei. Die Alpen, so das Fazit, werden demnach zu Recht als «Wasserschloss» bezeichnet.
Viviroli hat auf Grund seiner Auswertung zeigen können, dass es auch bei schlecht dokumentierten Flüssen möglich ist, auf Grund von wenigen Abflussdaten grundsätzlich Aussagen über die hydrologische Situation zu machen. Der Forscher hat Daten von zahlreichen Flüssen aus den verschiedensten Klimaregionen (ausgenommen den Tropen) zusammengetragen und ausgewertet - eine dornenreiche Angelegenheit, liegen von vielen Flüssen doch nur rudimentäre Daten vor. In gewissen Fällen sind die vorhandenen Angaben für eine wissenschaftliche Untersuchung zudem gar nicht verfügbar, da die Messdaten von den betroffenen Staaten als geheim eingestuft werden.
Die analysierten Flüsse lassen sich in vier Kategorien unterteilen. Zur ersten Kategorie gehören Flüsse in ausgeprägt ariden Gebieten wie etwa der Amu Darja in Zentralasien, der Colorado in Nordamerika, der Nil und der Euphrat, aber auch der Indus. Bei diesen Flüssen spielen die Gebirge eine dominante Rolle, stammt doch praktisch alles Wasser, das diese Flüsse mit sich führen, aus den Hochländern. Auf Grund der starken Abhängigkeit des Tieflandes ist bei diesen Flüssen das politische Konfliktpotenzial am grössten, und es wäre in diesen Fällen besonderes wichtig, dass solide und vertrauenswürdige hydrologische Daten erhoben und zwischen den Parteien ausgetauscht würden. Denn nur auf Grund von solchen Daten lässt sich die Frage beantworten, wie das Wasser zwischen den Gebirgs- und Tiefländern verteilt werden soll, damit möglichst alle Bedürfnisse gedeckt werden können.
Zur zweiten Kategorie von Flüssen gehören etwa der Senegal, der Tigris, der São Francisco in Südamerika und der Ebro. Auch bei diesen Gewässern spielen Gebirge eine zentrale Rolle, stammt doch weit mehr als die Hälfte des mitgeführten Wassers aus dem Hochland. Bei der dritten Kategorie von Flüssen haben die Gebirge hingegen nur noch einen vergleichsweise moderaten Einfluss; zu dieser Gruppe gehören der Columbia und der Saskatchewan in Nordamerika, die Donau, die Rhone - und eben auch der Rhein. Dass dieser Fluss in diese Kategorie fällt, obwohl die Alpen eine grosse Bedeutung für das Tiefland haben, verdeutlicht, wie wichtig - weltweit gesehen - Gebirgsregionen für die Wasserversorgung sind. Nur von untergeordneter Bedeutung sind die Gebirge schliesslich bei der vierten Kategorie, zu der etwa die Weichsel oder der Mekong in Südostasien gehören.