Noma - eine Krankheit der Armut - Beispiel Sahelländer

Bericht über den Chirurgen J. Holle und seine Noma-Hilfe für Kinder...

wienerzeitung.at

NOMA eine Infektionskrankheit der Armut, zerfrißt die Gesichter...

Die chirurgische Erfahrung hat sich Holle seit 1968 in allen Zweigen der plastischen Chirurgie geholt. Am Wiener Wilhelminenspital operierte er tausende Patienten mit angeborenen Missbildungen, nach Tumoroperationen, nach Unfällen, nach Verbrennungen. Er ist ein Pionier der Transplantationschirurgie, vor allem jener, die sich auf körpereigene Übertragungen spezialisiert. "Die ersten Nasenersatzplastiken aus Stirnlappen haben schon die Inder durchgeführt, 600 Jahre vor Christus, und bis heute ist die Technik, körpereigenes Material zu transplantieren, die risikoärmste Methode. Wir haben dabei mit weitaus weniger Problemen der Abstoßung zu kämpfen."

Die wissenschaftliche und chirurgische Karriere war Holle nicht genug. "Als aktiver evangelischer Christ kann ich mich nicht zufrieden geben mit dem, was Gott gegeben hat. Wir haben Einfluss zu nehmen, und zwar dort, wo man uns wirklich braucht." Vor 20 Jahren hat er ein Entwicklungshilfeprojekt in Westafrika gestartet und nimmt sich vor allem der Noma-Kinder an. Noma - griechisch: Zerstörung - ist eine Infektionskrankheit, die mangelernährte, immunschwache Kinder befällt. In Europa trat Noma das letzte Mal bei Kinderhäftlingen in den NS-Konzentrationslagern auf. Durch eine banale Infektion entzünden sich die Zahntaschen, die Weichteile des Gesichts schwellen an, Haut, Gewebe und Knochen werden nekrotisch und sterben ab. 90 Prozent der Kinder gehen an der Sepsis, die die Nekrose hervorruft, zugrunde.

Zur Behandlung reicht Penizillin, aber jeder medizinische Eingriff muss bezahlt werden - für die Menschen im Sahel, die von Tauschhandel leben, unerschwinglich. Überleben die Kranken den Zerfallsprozess in ihrem Gesicht, sind sie für immer schwerst gezeichnet. Noma hat ihre Lippen und Augenlider, Nase und Mundhöhle zerfressen, die Zähne, falls noch vorhanden, legen sich quer. Noma-Opfer sehen gespenstisch aus, werden wie Aussätzige behandelt und führen ein demütigendes Leben. Tausende leben in der Zone unterhalb der Sahara ein Leben im Verborgenen. Noma-Kinder werden von ihren Familien versteckt, ohne jede Chance auf ein halbwegs normales Leben.

"Noma ist kein medizinisches Problem, denn wenn man rechtzeitig Antibiotika gibt, heilt sie ohne weitere Komplikationen. Noma ist eine Armutskrankheit und ein soziales Problem. Als ich dieses Elend zum ersten Mal gesehen habe, hab' ich gewusst: Da muss ich etwas tun." Holle gründete den "Hilfsverein für Noma-Kranke" und begann mit regelmäßigen karitativen Operationseinsätzen. Zwei, drei Wochen operiert er mit einem österreichischen Team jene Entstellungen, die sich an Ort und Stelle mit einem einfachen Eingriff beheben lassen. Zuletzt war er im März 2004 mit dem Roten Kreuz in Burkina Faso. "Wir haben das gesamte Equipment mitgenommen und haben täglich acht bis zehn Stunden operiert, insgesamt 109 Kinder und Erwachsene, mit Noma, mit Lippen- und Gaumenspalten. Alle haben nach 14 Tagen wieder menschenwürdig ausgesehen."

 

Holle dreht sich zu seinem Computer, zeigt Fotos: vorher, nachher. "Es gibt nichts Befriedigenderes als so einen Einsatz. Ich weiß, ich mach' was Gscheit's. Wenn ich hier jemanden nicht operiere, dann macht es eben jemand anderer. Wenn ich diese Leute in Afrika nicht operiere, dann macht es niemand. Da ist keine weitere Philosophie dahinter. Ich will einfach was Gscheit's machen."

 

Schwere Entstellungen sind in der Sahelzone nicht operabel. Wenn bereits das halbe Gesicht fehlt, sind europäische OP-Technik, eine Intensivstation und eine Serie von Eingriffen nötig. Holle hat seit 1995 elf Kinder aus Niger nach Österreich gebracht, Pflegefamilien für sie gesucht und jedes Kind viele Male operiert. Die nötigen finanziellen Mittel können nur durch die Unterstützung von privaten Sponsoren aufgebracht werden.

Seit zwei Jahren ist Zaleha aus Niger da, lebt bei einer Pflegefamilie in der Nähe von Tulln, besucht die örtliche Volksschule und hat sich völlig eingewöhnt. Neun Operationen hat sie bereits hinter sich, und noch einmal so viele werden nötig sein, um der Zehnjährigen, die ohne Unterkiefer, Nase, Lippen und mit einem tief abgesunkenen Auge hier ankam, ein Gesicht zurückzugeben.

Jetzt sieht sie bereits ziemlich passabel aus, aber ihre Züge wirken noch immer wie zusammengesetzt. "Eine Schönheit wird sie nicht mehr werden, aber wieder menschlich aussehen. Zaleha erträgt die Strapazen mit großer Gelassenheit, weil sie sieht, es geht etwas weiter. Ihre Pflegefamilie sind ganz wunderbare Menschen, sie ist im Dorf integriert, ist lustig und gescheit. Jetzt steht auch fest, dass sie vorläufig nicht nach Niger zurückgeht, sondern hier bleibt. Und da kann ich ja noch viel machen bei ihr! Wir haben im vergangenen Sommer das Unterlid rekonstruiert, das ist die heikelste Sache überhaupt, und jetzt kommt das Lippenrot dran. Sie wird etwas lernen und ein normales Leben führen. In Niger wäre sie höchstens von einem alten Mann geheiratet worden, zum Schwängern wäre sie gut genug gewesen."

Vor zwei Jahren hat Holle das Primariat niedergelegt, er ist Mitte 60, aber das tut seiner Lust, etwas Neues zu machen, keinen Abbruch. Er beschäftigt sich mit der elektrischen Stimulation von Nerven, um Muskeln wieder funktionsfähig zu machen und Atemprobleme in den Griff zu bekommen. Er ist ein gesuchter Schönheitschirurg und hat vor, das noch lange zu bleiben. Und im kommenden Jänner fährt er wieder nach Afrika, nach Niger.

 

 

Das Spendenkonto der Noma-Hilfe:

PSK 92.079.946.

aus: Spectrum, Wochenendbeilage der Tageszeitung Die Presse 18.12.2004

Autorin: Dr. Helene Maimann

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Deutsch
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wienerzeitung.at
Veröffentlicht am
18.12.2004
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