AIDS - ein Kolonialerbe ?

aus Die Presse 17.12.2004

Der Ursprung der Pandemie ist hoch umstritten, viel Verdacht richtet sich gegen die Medizin selbst.

Als Ärzte in Uganda 1981 erstmals Patientinnen zu Gesicht bekamen, die vor ihren Augen dahinschwanden, gaben sie der Krankheit den Namen "Slim". Bekannter wurde sie als "Aids": Ebenfalls 1981 tauchte sie unter Schwulen in San Francisco auf, dort zog sie das Interesse der Medizin und der Medien auf sich, die Frauen im dunklen Afrika interessierten niemanden. Aber der Kontinent selbst rückte bald ins Zentrum der Aufmerksamkeit: 1983 identifizierte man den Aids-Erreger - das Virus HIV -, im selben Jahr fand man in Versuchsaffen ein eng verwandtes Virus, SIV. Der Zusammenhang war klar: Die Viren, die den Affen nichts tun, waren auf Menschen übergegangen und tödlich geworden, darüber herrscht heute Einigkeit.

 

Nur darüber. Vier Hypothesen konkurrieren, die dicksten Schlagzeilen füllt die vom Polio-Impfstoff. Demnach nahm die Pandemie ihren Ausgang Mitte der 50er Jahre von einem Labor in Zentralafrika, in dem zur Impfstoffherstellung Nierenzellen von Affen - vor allem Schimpansen - verwendet wurden: Das spätere HIV-Ausbruchsmuster deckt sich frappant mit den Impfregionen. War SIV drin? Mehrere Ärzte vermuteten es unabhängig voneinander, der Schriftsteller Edward Hooper systematisierte es 1999.

Das brachte so großen Druck, dass man anno 2000 Proben des alten Impfstoffs analysierte. Man fand nichts, aber man hatte nur wenige Proben aufbewahrt. Einen kräftigeren Einwand bietet das Alter von HIV, 1931 soll es entstanden sein, lange vor dem Impfstoff. Aber solche Datierungen sind unsicher, andere geben dem HI-Virus ein Alter von 100 Jahren. Wo war dann die Krankheit? Die Mehrheit ist sich einig darüber, dass das Virus keinen Umweg über einen Impfstoff nahm, sondern direkt übertragen wurde, von erjagten Affen auf alle, die mit ihnen hantierten, Jäger, Köchinnen. Gejagt wurde immer schon - und SIV ist alt -, sporadische Infektionen muss es immer gegeben haben.

 

Aber damals war die Gesellschaft klein und stabil, ein Infizierter konnte die Viren nur lokal weitergeben. Erst mit der Verstädterung in den 50er Jahren kamen viele zusammen, und erst mit der Entkolonialisierung brachen die Strukturen zusammen, etwa die der Gesundheitssysteme. Unfug, widerspricht namens der dritten Fraktion Jim Moore, Harvard, die Zusammenballung in großen Städten habe um 1900 begonnen. Und die großen Wirren habe nicht erst die Entkolonialisierung gebracht: "Laut Befragungen während der ersten Volkszählung in Französisch-Äquatorialafrika und Belgisch-Kongo 1920 waren seit 1880 15 Millionen Menschen verschwunden, die halbe Bevölkerung" (American Scientist, 92, S. 540).

 

Und wo die Kolonialmächte nicht hausten, taten sie des Guten zu viel, wieder beim Impfen. Erst ab 1914 gab es einen getrockneten, transportablen Pocken-Impfstoff, zuvor nutzte man lebende Vehikel. Man impfte einen Menschen und entnahm ihm nach acht Tagen Blut für die nächsten, ein Paradies für Viren. Dann kam der Fortschritt, 1916 wurden in einer Kampagne 89.000 Menschen geimpft, aber man hatte dafür ganze sechs Injektionsspritzen.

 

Dann kam noch ein Fortschritt, auf ihn deutet die vierte Fraktion: die Einmalspritze aus Plastik, billig, nicht sterilisierbar. Vor allem in den Entwicklungsländern wurde sie ab den 50er Jahren breit für alles Erdenkliche eingesetzt - viele Ärzte trauten ihren Patienten nicht und wollten verhindern, dass Medikamente verkauft statt geschluckt werden -, und nicht immer nur einmal. "Es ist bemerkenswert, dass drei der vier Hypothesen mit Nebenwirkungen der Medizin zusammenhängen", schließt Moore und bedauert, dass die Fraktionen so heillos zerstritten sind, dass sie den Dialog verweigern. Der geht nicht nur um Akademisches: Es gibt neben SIV noch viele Viren in Tieren; und in Westafrika ist die weltweite Impfung zur Polio-Ausrottung ins Stocken geraten, weil manche HIV im Impfstoff vermuten.

 

Die Presse 17.12.2004

 

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17.12.2004
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