Überalterung senkt das Wirtschaftswachstum um einen halben Prozentpunkt

Pensionskonten setzen voraus, dass es jüngere Generationen gibt, die sie finanzieren." Bevölkerungsexperte Rainer Münz & ein Vergleich zwischen der Entwicklung in Europa mit den USA - aus : Die Presse v. 27.9.2004

Überalterung: "Sparen hilft nur bedingt"

 

 

1.

In Europa wächst nicht nur - wie überall auf der Welt - die Zahl der älteren Menschen. Gleichzeitig geht auch - im Gegensatz zu anderen Kontinenten - die Zahl der Jüngeren zurück. Derzeit kommen auf zehn 20- bis 60-Jährige vier Ältere. Im Jahr 2050 werden es acht sein. Berücksichtige man, dass nicht alle jüngeren Personen erwerbstätig sind, "geht das Verhältnis Beitragszahler und Leistungsempfänger in Richtung eins zu eins", warnt Rainer Münz, Bevölkerungsexperte am Hamburgischen Weltwirtschaftsarchiv.

2.

Weniger betroffen von der Überalterung sind die USA. Dort werde es erst 2050 die heutige europäische Situation geben, dass auf zehn Jüngere vier Ältere kommen, so Münz. In den USA seien 60 Prozent des Bevölkerungswachstums auf Geburten zurückzuführen, der Rest auf Zuwanderung

In Europa betrage dieses Verhältnis 90 Prozent (Zuwanderung) zu zehn Prozent (Geburten).

 

Warum bekommen die US-Amerikaner so viele Babys? Zum einen erfolge dort die Zuwanderung aus Ländern mit hohen Geburtenraten, etwa aus Lateinamerika oder Asien, meint Münz. Zwar passen sich Einwanderer hinsichtlich ihrer Kinderzahl bald den Landesgepflogenheiten an, aber eben nicht gleich. Der andere Grund sei, dass die USA "kein voll entwickelter Sozialstaat" seien. 40 Millionen Amerikaner hätten keine ausreichende Krankenversicherung. So komme es, dass viele für ihre Altersversorgung auf mehrere Standbeine - Staat und Kinder - setzen. In Europa sei es dagegen kein ökonomischer Vorteil, Kinder aufzuziehen.

 

3.

Was kann der Staat dazu beitragen, dass mehr Kinder auf die Welt kommen? Das Beispiel der skandinavischen Staaten und Frankreichs zeige, dass flächendeckende Kinderbetreuung, aber auch Signale wie aktive Spitzenpolitikerinnen mit Kleinkindern oder Führungskräfte in Väterkarenz, dazu beitragen, dass latente Kinderwünsche auch realisiert werden.

 

 

"Auch Pensionskonten setzen voraus, dass es jüngere Generationen gibt, die

sie finanzieren."

(Zitat des Bevölkerungsexperten Univ. Prof. Rainer Münz )

 

4.

Jetzt auch in geburtenschwachen Ländern - zu denen vor allem die südeuropäischen Länder, das Baltikum, Slowenien, Ungarn und Tschechien, gefolgt von Deutschland und Österreich, gehören - aufs Kinderkriegen zu setzen, sei aber allein nicht ausreichend: Kinder, die jetzt geplant werden, kommen frühestens 2005 auf die Welt und steigen bei guter Ausbildung 2030 ins Erwerbsleben ein. Dann tragen sie freilich dazu bei, das Verhältnis zwischen Beitragszahlern und Empfängern zu mildern, zumal dann die "Baby-Boomer" in Pension seien.

Für die Zeit vor 2030 müsse man andere Maßnahmen setzen. Zum einen länger arbeiten: Dass in Österreich viele ihre Lebensplanung auf Frühpension abgestellt haben, sei nicht nur mit der Mentalität zu erklären, so der Bevölkerungsexperte Univ. Prof Münz.

5.

Als die Baby-Boomer ins Erwerbsalter kamen, habe man eben Ältere auf Kosten der Allgemeinheit in Frühpension geschickt. "Das ging, damals war das Wirtschaftswachstum auch höher", sagt Münz. "Die Leute haben jetzt vor Augen, was die Generation vor ihnen macht, und wollen auch mit 57 in Pension gehen."

 

Eine weitere Maßnahme sei, die Zahl der Beitragszahler zu vergrößern, indem man etwa Frauen verstärkt in den Arbeitsmarkt integriert: Hier greifen die Kinderbetreuungsplätze schon früher. "Wir müssen auch attraktiver für qualifizierte Zuwanderer werden", sagt Münz. Er empfiehlt mehr Ausbildungszentren in Schwellenländern. So habe Baden-Württemberg eine Hochschule in Kairo errichtet. Österreich unterhalte das St.-Georgs-Kolleg in Istanbul und die Österreichische Schule in Guatemala City, "aber ohne die Absicht der Rekrutierung."

Sparen helfe nur bedingt. Auch nominelle "Pensionskonten" setzen voraus, dass es jüngere Generationen gibt, die sie finanzieren. Gleiches gelte für den Kapitalmarkt, meint Münz: "Wenn jemand eine Vorsorgewohnung hat, und dann schrumpft die Bevölkerung, gehen die Mieten zurück."

 

6.

Laut Internationalem Währungsfonds (IWF) solle man auch nicht allzu große Hoffnungen auf die Aktienmärkte setzen: Die Älteren würden ihre Portfolios zur Finanzierung des Lebensstandards abstoßen, die junge Aktionärsgeneration sei wesentlich kleiner. Hohes Angebot und niedrige Nachfrage drücken auf die Preise.

 

Die Alterung der Bevölkerung hat laut IWF auch negative Folgen für das Wirtschaftswachstum. So werde das Wachstum des Bruttoinlandsprodukts in den Industrieländern um einen halben Prozentpunkt pro Jahr niedriger sein, als es bei gleich bleibender Bevölkerungszusammensetzung wäre.

 

aus Die Presse vom 27.9.2004

 

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Veröffentlicht am
27.09.2004
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