Europa und der Geburtenrückgang
Die Geburtenlücke wird das wirtschaftliche Gewicht Europas in der Welt während der kommenden Jahrzehnte dramatisch verringern.
Die Geburtenlücke wird das wirtschaftliche Gewicht Europas in der Welt während der kommenden Jahrzehnte dramatisch verringern.
Europa wächst geographisch, aber seine Bevölkerung überaltert und schrumpft: Was relativ harmlos klingt, wird die wirtschaftliche Position des alten Kontinents in der Welt schon demnächst dramatisch verschlechtern. Denn eine rückläufige Bevölkerung ist in unserem Wirtschaftssystem - abgesehen von den immer größer werdenden Problemen mit der Pensionsfinanzierung - mit Wirtschaftswachstum und Prosperität nicht kompatibel.
Die EU - aber auch Nicht-Mitgliedsländer wie etwa die Schweiz - sind gerade dabei, in eine teuflische Abwärtsspirale hineinzurutschen. Beginnen wird es mit Arbeitskräftemangel: Das treibt die Löhne dramatisch hoch und senkt die erzielbaren Kapitalrenditen. Die produzierenden Unternehmen verlieren damit an Konkurrenzfähigkeit, und die Pensionssysteme beginnen doppelt zu leiden: Umlagenfinanzierte Systeme verlieren an Leistungsfähigkeit, und die als Ausgleich geschaffenen kapitalgedeckten Systeme stöhnen gleichzeitig unter niedrigen Renditen. Sehr bald wirkt sich das alles negativ auf das Wirtschaftswachstum aus, was wiederum die Steuereinnahmen senkt.
Die EU-Kommission hat in ihrem jüngsten Wirtschaftsbericht die Folgen errechnet: Wenn die derzeitige Entwicklung nicht gestoppt wird, dann wird sich das sogenannte Potentialwachstum (das ist jenes Wachstum, das über längere Zeit ohne Teuerungsdruck gehalten werden kann) in der Gemeinschaft für die kommenden 50 Jahre auf 1,25 Prozent halbieren. Das Wachstum des Bruttoinlandsprodukts pro Kopf wird dadurch um 0,4 Prozentpunkte sinken. Die Folge: Der Anteil der EU an der Welt-Produktion - und damit das wirtschaftliche Gewicht der Gemeinschaft - wird bis 2050 von 18 auf 10 Prozent sinken, also beinahe halbiert werden. Der Anteil der von demographischen Problemen unbelasteten USA wird dagegen von 23 auf 26 Prozent steigen.
Gegensteuern kann man nach einer Studie der Credit Suisse mit höherem Kapitaleinsatz und verstärktem Produktivitätswachstum - aber nur in sehr geringem Ausmaß. In Wahrheit bleibt laut dieser Studie (die sich auf die Schweiz bezieht, aber auch für die EU Gültigkeit hat) nur stark forcierte Zuwanderung. Was aber politisch umstritten ist. Österreich müßte etwa ab 2010 bis zu 170.000 Zuwanderer im Jahr aufnehmen, um seine Wirtschaftskraft nur zu erhalten. Nach einer im Vorjahr vom Ordinarius für Finanzwirtschaft an der Uni Basel, Heinz Zimmermann, erarbeiteten Studie gibt es auf Dauer nur zwei ausschlaggebende Faktoren für Wirtschaftswachstum: Produktivität und Bevölkerungswachstum. Ganz egal, wie dieses zustandekommt.
Aus : Die Presse, vom
10.01.2003