Ein Flammenmeer bedroht Brasiliens grüne Lunge

Der Amazonasstaat erlebte 1998-04-02 seine bisher schlimmste Feuerkatastrophe - Brandrodung ist außer Kontrolle geraten - Regierung hat Bekämpfung verschleppt

santa-catarina.net

1998-04-02

 

Von Carl Coerdeler

 

 

Ein Flammenmeer bedroht Brasiliens grüne Lunge

 

Der Amazonasstaat erlebt seine bisher schlimmste Feuerkatastrophe - Brandrodung ist außer Kontrolle geraten - Regierung hat Bekämpfung verschleppt

 

 

In Brasilien bedroht eine Brandkatastrophe von bisher unvorstellbaren Ausmaßen die Regenwaldgebiete. Im Juni könnte sich die Lage verschärfen. Doch die Regierung handelt nur zögerlich.

 

Flüsse führen zu wenig Wasser.

 

Mit leise tuckemdem Motor durch eine Pflanzen-Kathedrale treiben. Brettwurzelbäume, Palmenpfeiler, Kreuzgewölbe der Äste: Feierlich fällt das Licht durch die Maßwerkfenster der Blätter. Es ist so still in diesem Wald, durch den wir leise schweben.

 

Wasserarme führen tief hinein in den Hades der aniphibischen Unterwelt. "Igarape": Wasserweg und "Igapo": Wald im Wasser, die indianischen Bezeichnungen haben die Weißen beibehalten. Der romanti- sche Furt mit Mutter Natur vom sicheren Außenborder aus beglückt jeden Besucher. Doch die Wirklichkeit sieht weit weniger prosaisch aus.

 

"Wir sind jetzt am Ende der Regenzeit und trotzdem erreicht das Wasser des Rio Juma nicht die Marke vom letzten Jahr", erklärt Augusto, der Chef der "Amazon Lodge", die wie eine Arche Noah für ein Dutzend Ökotouristen im Schwarzwasser ankert. Der "Schmutzrand" von Treibgut und die dunklen Rindenmarken zeigen, wie hoch das Wasser gestiegen war.

 

"Wir machen uns Sorgen, daß durch die Abholzung der höhergelegenen Gebiete, der sogenannten terra firme, und die Brandrodung der Kleinbauern auch hier die Zerstörung der ursprünglichen Vegetation vorangetrieben wird." Die "Amazon Lodge" liegt rund 150 Kilometer südöstlich von Manaus, also fast 1000 Kilometer weit entfernt von den Brandherden in Roraima. Und doch: Je schneller der Rand des Amazonasgebiets in Flammen aufgeht, desto gefährlicher wird es für den bislang kaum berührten Regenwald im Amazonasbecken.

 

Der UN-Vertreter in Brasilien, Walter Franco sieht für den Höhepunkt der Trockenzeit im Juni/Juli ein düsteres Szenario voraus. Doch in Brasilia will man davon nichts wissen. Der Umweitminister Gustavo Krause hat sich bislang von der "schlimmsten Brandkatastrophe in Brasilien", so die Presse, ferngehalten und hüllt sich in Schweigen.

 

Wer Manaus auf der BR 174 Richtung Boa Vista verläßt, hat noch eine geraume Strecke (rund 785 Kilometer) vor sich, und nicht jeder Kilometer ist asphaltiert. Durch das Waimiri-Reservat darf nur während des Tages gefahren werden. Auf der Hälfte des Weges beginnt die Landesgrenze von Roraima dem nördllchsten Bundesland Brasiliens, das mit 225 000 Quadratkilometern etwa so groß ist wie Großbritanien. Die BR 174 führt von der Hauptstadt Boa Vista noch 300 Kilometer weiter nach Norden bis zur venezolanischen Grenzstadt Santa Elena de Uiaren. Wer sich auf diese Piste wagt, muß das Fernlicht einschalten. Rauchnebel lasten über der verbrannten Erde. Die einst grüne Savanne hat sich in einen schmutzig- schwarzen Todesacker verwandelt, auf dem die dürren Rinder vergeblich nach Nahrung suchen.

 

Die Katastrophe hatte bereits zum Jahresende begonnen. Den Viehzüchtern, Kleinbauern und Indianern, die die Savanne, den Buschwald und den Ufersaum an den Flüssen brandroden, um die mageren Böden durch Asche zu düngen, war das Feuer außer Kontrolle geraten. Immer tiefer fraß es sich in den Regenwald hinein, der durch die pazifische Klimaanomalie "El Nino" außer-

gewöhnlich trocken war.

 

Normalerweise widersteht der Regenwald den kleinen Brandwunden, die man ihm zufügt, zumal die Millionen kleinen Flußläufe eine wirksame Barriere gegen das Ausbreiten der Feuer bilden. Bloß diesmal war der ,,Schwamm" Regenwald knochentrocken - der Rio Branco - Roraimas größter Fluß - hat sich zu einem kläglichen Rinnsal in seinem Sandbett zurückgezogen.

 

Anfang dieses Jahres hatten die Farmer und Flußbewohner so gut wie alle Kontrolle über die Brandrodungen verloren. Fast im gesamten Territorium von Roraima stiegen Rauchsäulen auf. Der Flughafen von Boa Vista konnte wegen Rauchnebel nur mit Radarinstrumenten angeflogen werden.

 

Das Amazonasforschungsinstitut INPA in Manaus konstatiert: 31 000 Quadratkilometer verbrannte Erde, 6000 Quadratkllometer zerstörter Regenwald, davon 1800 Quadratkilometer auf Indianer-

territorien, die rund ein Drittel des Staatsgebietes von Roraima einnehmen.

 

Bereits vergangenen Dezember und dann erneut im März hatte Vladimir Sakharov - der russische UN- Koordinator für Katastrophenhilfe, aus Genf der brasilianischen Regierung Hilfe bei der Brandbekämpfung angeboten. Doch in Brasilia reagierte man darauf nicht. Man würde schon selber mit der Katastrophe fertigwerden. Besonders die Militärs wehrten sich vehement gegen eine "Intervention" von außen. Erst als die Medien weltweit Reporter nach Roraima schickten, wurde es auch den Regierenden in Brasilia mulmig zumute. Der Gouverneur von Roraima, Neudo Gampos, hatte bis dahin völlig vergeblich gegen das Flammenmeer mit knapp einhundert Mann, Feuerpatschen und Eimern angekämpft.

 

Nun war Gefahr in Verzug - daß professionelle Brandbekämpfer aus Argentinien und Venezuela zum Einsatz kamen, schmeckte den brasilianischen Militärs auch nicht.

 

Angst vor Einmischung von außen

 

Aber ihre eigene Einsatzfähigkeit war bis dahin gleich Null. "Wir haben keine Mittel, gegen eine solche Brandkatastrophe effektiv vorzugehen", bekannte Eduardo Martins, der Chef des brasilianischen Umweltamtes lbama.

 

Die Brandbekämpfung in Roraima steht nun unter dem Kommando von General Luis Edmundo Maia de Carvalho dem Chef der 1. Infanterie-Brigade für den Dschungelkampf in Boa Vista: "Die Brandkatastrophe ist ein Problem Brasiliens, das allein durch unsere Leute gelöst werden muß."

Bloß wie, weiß der General auch nicht. Die militärische Präsenz in Roraima ist viel zu dünn, um für Einsätze gegen die Flammen gerüstet zu sein. So bleibt nur die Hoffnung auf Regen.

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Veröffentlicht am
29.04.2002
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